Religion in der Medienwelt

 Entdeckungen

 Namen, Personen, Begriffe, Dinge, Handlungen, Symbole und Geschichten aus den faktisch vorhandenen Religionen kommen in nahezu allen Lebensbereichen vor, besonders in denen, die etwas mit den Wünschen, Ängsten und Hoffnungen der Seele zu tun haben. Alle Lebensbereiche werden medial inszeniert. Darum tauchen religiöse Motive auch in der gesamten nicht-religiösen und nicht-kirchlichen Medienwelt auf, besonders in der Werbung, der Rockmusik und im Film.

 Eine große Kraft

Religion hat große Kraft. Sie kann Menschen zu positiven Einstellungen, Gefühlen und Handlungen führen. Sie kann aber auch zerstörerisch sein und Gewalt frei setzen. Um das eine wertzuschätzen und zu nutzen, sowie das andere bewusst zu erkennen und zu meiden, kommt es darauf an, eine Sprach- und Kritikfähigkeit in religiösen Dingen auch in der Welt der Medien zu entwickeln.

Global verständlich

 Perfekt inszenierte Medienprodukte, insbesondere Kinofilme der Traumfabrik Hollywood, sind teuer. Um möglichst viele Menschen in möglichst vielen Ländern anzusprechen und zum Kinobesuch zu bewegen, müssen universal und global verständliche Stoffe verarbeitet werden. Der Zugang zu den großen Gefühlen, Sehnsüchten und Hoffnungen ist zugleich der Zugang zum Kassenerfolg.

Zitate und stories im großen Film

 Religiöse Motive tauchen im Kinofilm in zweierlei Weise auf:

  1. in Form von Zitaten, das heißt durch Personen, Handlungen, Dinge, Gebäude, Zustände, die etwas mit den bekannten Religionen zu tun haben;
  2. in Form einer Geschichte, die in ihrer Struktur eine religiöse Qualität besitzt – auch dann, wenn keine explizit religiösen Personen etc. vorkommen.

 Beispiele

Sister Act 1: Hier wird religiös zitiert, indem Nonnen, ein Kloster, Priester, Gospelmusik etc. vorkommt. Zugleich wird auch eine religiöse story inszeniert, indem das wahre Selbst ähnlich einer Bekehrung durch Gefahren und Konflikte hindurch ergriffen und zugleich Gerechtigkeit wieder hergestellt wird.

Independence Day: In der säkularen Apokalypse im Science-Fiction-Gewand wird das Happy-End durch eine Selbstopferung quasi messianisch ermöglicht. Vor der entscheidenden Situation werden alle Handelnden durch ein Gebet vereint.

Matrix 1: Es tauchen wieder religiöse Zitate auf mit Namen wie Nebukadnezar, Zion, Trinity (Dreieinigkeit). Zugleich behandelt Matrix die religiöse Frage, „was ist denn die eigentliche, die wirkliche Wirklichkeit“. Ähnlich wie das Johannes-Evangelium bindet Matrix Wahrheit und Freiheit, wirkliche Wirklichkeit und Befreiung ganz eng aneinander. Matrix 1 ist so gesehen eine Berufungs- und Bekehrungsgeschichte des gnostischen Erlösers wieder im Sciene-Fiction-Gewand. Zugleich bearbeitet Matrix 1 auch noch die philosophische Frage des radikalen Konstruktivismus, inwiefern konstruierte Wirklichkeit Wahrheit ist, ebenso die ethisch-religiöse Frage nach Schuld und Gericht. Und wie in den Evangelien taucht auch hier eine Judas-Figur, eine Verräter-Gestalt auf, die den Retter und seine Mission bedroht. Dabei „offenbart“ sich der Retter „Neo“ (der neue Mensch) gerade in der Überwindung der Gefährdung endgültig als ebendieser.

Titanic: In dem Liebes- und Katastrophenfilm wird Apokalypse 21 zitiert („Ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde...“) und zugleich filmisch inszeniert, indem der Zuschauer mit der Kamera am Ende des Films zu dem versunkenen Wrack der Titanic hinabtaucht. Dort verschmelzen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer Vision der Erlösung. Denn die Liebenden finden zueinander unter dem Beifall der Menge, auch dem ihrer Widersacher. Alle sind versöhnt und die Liebe gelangt – jenseits des Todes – zu ihrem Ziel.

Harold and Maude: Der Kultklassiker mit dem skurrilsten Liebespaar der Filmgeschichte ironisiert stets konkrete Religionsausübung. Die Religionskritik wird aber zugleich mit einem eigenen religiösen Entwurf kombiniert. Denn Maudes Leben wird als ästhetische und politische Umsetzung des pantheistischen Glaubenskonzepts (Gott ist die allumfassende Ein- und Ganzheit.) beschrieben. Darum betet Maude nicht, sondern „kommuniziert mit dem Leben“. Zugleich fallen die strukturellen Ähnlichkeiten von Maude und Jesus auf:

Jesus und Maude sind gewaltlose Außenseiter und lehren durch persönlichen Kontakt den Weg zu einem befreiten und liebenden Leben. Beide nehmen den eigenen Tod freiwillig auf sich und ermöglichen anderen den gleichen befreiten und versöhnten Lebensweg.

Es schmeckt nach mehr

Jeder Mensch sucht nach Möglichkeiten, über das zu reden, wofür er keine Worte hat. Er will das Unsagbare sagbar machen. Er findet solche Sprache im Poetischen, im Narrativen und im Religiösen. Religion ist darum auch immer Poesie, arbeitet mit Bildern, Vergleichen und Geschichten, um auszudrücken, was eigentlich nicht auszudrücken ist. Aufmerksamkeit lässt hier viel entdecken.

Nicht nur Filmemacher

und Poeten haben diese Aufmerksamkeit. Auch Werbefirmen passen gut auf, beobachten und verwenden Motive religiöser Art und heften sie dann an Waren, weil Kaufakte dann wahrscheinlicher und wiederholbarer werden. Denn Gefühle, die tief in der Seele verankert sind, schaffen eine besonders innige Verbindung zwischen Käufer und Produkt. Hier ist ebenso Aufmerksamkeit, Sprach- und Kritikfähigkeit gefragt, um einen angemessenen und lebensdienlichen Umgang mit religiösen Motiven in der Medienwelt zu finden.

Heiligsprechung der Sehnsucht

Unsere Sehnsucht nach dem Unendlichen muss nicht durch eine unendliche Sehnsucht nach endlichen Dingen ersatzbefriedigt werden. Die Sehnsucht als solche ist gut. Sie weist uns auf die Wahrheit hin, die aus dem Satz des Kirchenvaters Augustinus (354-430) spricht: „Mein Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet, Gott, in dir.“

 

 

Gottsuche findet nicht (nur) in der Kirche statt

 

 

 

 

Früher, vor ein paar Jahrhunderten, vor dem Zeitalter der Aufklärung war Religion überall, massiv, konkret. Menschen machten sich Gedanken, leidenschaftliche Gefühle, „ein Gewissen" über den gnädigen oder ungnädigen Gott, wurden nicht fertig mit Wallfahren, Beten, Gottesdienste und alles, was dazu gehört.

Egal, welcher Konfession man nun angehört: Wir merken, dass die religiöse Anspannung rund um die Kirchen deutlich nachgelassen hat. Manche haben dabei schon von einem Untergang der Religion gesprochen. Weit gefehlt!

Religion lebt! Sie beschäftigt uns – aber nur nicht mehr so sehr in Kirchen, an Altären oder auf Kanzeln. Religiöse Themen und Motive haben nämlich Beine bekommen und sind ausgewandert. Sie begegnen uns nun (auch) in der Werbung, in der Rockmusik, in der Literatur und im „großen Film". Dort findet Religion statt. Dort fragen wir unbewusst nach dem, was bleibt, was unserem Leben Sinn geben könnte.

Unsere Seele reagiert darauf. Unser Kopf merkt es nur noch nicht. Aber die Werbeleute haben es schon gemerkt, dass man mit religiösen Botschaften Leute zum Kaufen von Dingen bewegen kann. Ähnlich im Kino: Zuschauer sind begeistert oder innerlich gerührt, wenn religiöse Motive darin mit verarbeitet werden. Es funktioniert.

 

„hungry for heaven"

 

 

Jeder Mensch ist ein Theologe, eine Theologin. Denn jede und jeder macht sich so seine Gedanken über das Leben, den Sinn, die Werte, über das, was bleibt, wenn alles vergangen ist. Jede und jeder merkt dann mehr oder weniger bewusst, dass es schwer fällt, über die großen Dinge des Lebens und des Sterbens, das Eigentliche, das Wesentliche, letztlich über den Himmel zu reden. Wir helfen uns dann mit Näherungen, Vergleichen und Bildern, um über das zu reden, worüber man eigentlich gar nicht reden kann.

Wer sich einmal gewundert hat, warum zum Beispiel in der Werbung ein Rucksack mit dem Wort "believe" und religiösen Gestalten (hier ein Yogi, Zen-Mönch oder gar Mose selbst) in Verbindung gebracht wird und bewusst darüber nachdenkt, was da „rübergebracht" wird, findet in Spaß und Interesse daran, weitere Elemente aus der religiösen Welt, dem Himmelshunger zu entdecken.

 

Wir in der Gegenwart

 

 

Es kommt nicht darauf an, der „guten alten Zeit" nachzutrauern. Es ist auf der anderen Seite auch vollkommen fehl am Platz, die gegenwärtige Schwäche der kirchlichen Institutionen zu begrüßen. Wichtig ist, wieder eine Aufmerksamkeit und eine Sprache für Religion zu entwickeln. Mit Religion muss kritisch umgegangen werden! Sie hat nämlich große Kraft – zum Guten und zum Bösen. Wir sollten bewusst damit umgehen lernen, um das Gute und Menschenfreundliche darin zu entdecken und in Anspruch zu nehmen. Wir brauchen es. 

Siehe auch: www.bahnhof-k.de